Warum ich manchmal ein Fisch bin
Anne Krüger
Also manchmal bin ich ja ein Fisch, wissen Sie? Das glauben Sie mir nicht? Ist aber so, ehrlich. Manchmal wachsen mir Flossen, wo sonst immer meine Beine sind, mein Körper schrumpft zusammen und bedeckt sich mit Schuppen.
Ich werde dann wahnsinnig klein, springe in eine Mineralwasserflasche oder ein Cocktailglas und mache nur ab und zu blubbernde Geräusche. Und irgendwann, wenn ich genug von meinem Fischdasein habe, verwandle ich mich wieder zurück. Ich achte sorgfältig darauf, dass kein Mensch in der Nähe ist, wenn sich diese Veränderungen vollziehen, denn ich möchte keinen schlechten Eindruck erwecken. Mal ehrlich, was würden Sie von jemandem halten, der in einer Mineralwasserflasche herumschwimmt, womöglich noch in Ihrer? Nein, ich halte meine Metamorphosen unter strenger Kontrolle. Nur mein Mann weiß Bescheid, und auch das nur deshalb, weil er mich einmal dabei erwischt hat, wie ich im Abwaschbecken herumplanschte, statt das Geschirr zu spülen. Im ersten Schockmoment wollte er mich ins Klo werfen. Ich konnte mich gerade noch zurückverwandeln. Wir waren beide ganz schön fertig.
Wie lange geht das schon so, hat er mich gefragt.
Weiß nich, habe ich gesagt und mit den Achseln gezuckt, vielleicht seit ein paar Monaten.
Ich habe gar nichts gemerkt, hat er gesagt und sich auf den Klodeckel gesetzt. Er tat mir leid, aber was hätte ich sagen können? Ich habe mich abgetrocknet und mir die Haare geföhnt.
Schließlich hat er sich beruhigt und eingesehen, dass es weitaus schlimmere Hobbys gibt als jenes, das ich pflege.
Zum Beispiel Kriege führen, habe ich gesagt, oder Atomkraftwerke bauen.
Hast ja recht, hat mein Mann gesagt, was rege ich mich eigentlich so auf.
Er hat sich entspannt und wir gingen ins Kino. Unter anderem deshalb, weil er Psychologe ist, hat ihm die ganze Sache aber keine Ruhe gelassen.
Warum machst du so etwas, hat er mich mitten im Film gefragt.
Pscht, hab ich gesagt, pscht.
Kompensierst du da was, hat mein Mann geflüstert.
Pscht, habe ich gemacht. Pscht, hat jemand hinter uns gemacht.
Gewissermaßen ist das ja eine Ich-Flucht, hat mein Mann geflüstert.
Ruhe da vorne, hat jemand gerufen. Pscht, habe ich gesagt.
Ich will mich ja nicht einmischen, hat mein Mann gezischt, aber pass nur auf, dass es nicht außer Kontrolle gerät.
Was, habe ich geflüstert, wovon redest du denn.
Pscht, hat wieder jemand gemacht.
Na dieses Verwandeln, hat mein Mann gesagt, nachher verselbständigt sich das noch. Geh nach Hause, hat jemand gerufen. Pscht, habe ich gesagt und mir weiter keine Gedanken gemacht. Ich hatte alles im Griff! Dachte ich jedenfalls.
Neulich jedoch saß ich mit Geschäftspartnern beim Essen. Es war einer dieser heißen Tage, wo einem das Wasser in Sturzbächen vom Körper rinnt. Wir hatten gerade bestellt und ich nippte an meiner Weißweinschorle. Plötzlich merkte ich, dass meine Zehen in den hohen Schuhen wie wild zu zucken begannen. Dieses Anzeichen kannte ich. Mein Körper signalisierte mir überdeutlich, wonach ihm gerade war, nämlich nach einer Verwandlung in einen Fisch. Das kam natürlich gar nicht in Frage. Ich nehme meine Arbeit normalerweise sehr ernst und würde nie etwas tun, um Kunden zu verprellen. Also versuchte ich, die Nerven zu behalten und lächelte bemüht in die Runde. Der Herr zu meiner Linken begann, mich in ein belangloses Gespräch zu verwickeln. Ich nickte, warf ab und an einen Wortfetzen hin und dachte die ganze Zeit nur eines: Jetzt nicht, jetzt nicht, jetzt nicht. Meine Haut begann zu jucken. Ich rieb mein Handgelenk. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass sich erste Schüppchen zu bilden begannen. Ich schob die Bluse wieder über den Arm.
Alles in Ordnung, fragte der Mann neben mir. Ich nickte.
Blubb, machte ich. Eigentlich hatte ich etwas anderes sagen wollen. Aber Pustekuchen. Es ging nicht.
Blubb, sagte ich wieder.
Jaja, sagte der Mann, Sie haben ganz recht. Er schien gar nicht zu merken, was mit mir passierte.
Blubb, rief ich. Natürlich, sagte der Mann, sehr treffend gesagt, meine Liebe. Ich sprang auf. Eine unfreiwillige Verwandlung in einen Fisch stand offenbar kurz bevor. Ich entschuldigte mich, blubb, blubb, blubb und stürzte zur Damentoilette. Schon unterwegs wurden meine Beine butterweich. Ich schaffte es gerade noch bis zum Waschbecken. Ich stopfte mein Taschentuch in den Abfluss, drehte den Wasserhahn auf, dann wieder zu und flutsch, sprang ich hinein. Sofort ließ aller Stress von mir ab. Ich fühlte mich wie neugeboren.
Leider betrat meine Kollegin den Raum. Sie öffnete ihre Handtasche und kramte darin herum. Ich hielt ganz still und betete, dass sie mich nicht entdecken würde. Dabei war ich kaum zu übersehen. Ich bitte Sie, ein ca. 20 cm langer Fisch, der in einem Damentoilettenwaschbecken schwimmt! Zurückverwandeln konnte ich mich aber auch nicht, dann wäre ja mein Geheimnis bekannt geworden. Ich steckte in einer ganz schönen Zwickmühle.
Meine Kollegin hielt jetzt einen Lippenstift in der Hand, trat vor einen der Spiegel und bemalte sich den Mund neu. Als sie fertig war, steckte sie den Lippenstift weg, grinste sich im Spiegel an und verschwand wieder. Glück gehabt, dachte ich, nun aber nichts wie raus hier. Ich wedelte mit den Flossen. Nichts geschah. Das konnte doch nicht wahr sein. Irgendwie hatte sich der Fisch in mir verselbständigt! Mein Mann hatte recht behalten. Ich ähnelte Dr. Jekyll und der Fisch war Mister Hyde. Wenigstens wollte er niemanden umbringen, sondern bloß ein bißchen baden. Das beruhigte mich allerdings kaum. Verzweifelt schlug ich mit einer Flosse gegen das Waschbecken. Hilfe, wollte ich rufen, aber da kam nichts als: Blubb!
Und dann, was auch immer der Auslöser gewesen sein mag, verwandelte ich mich in mich zurück. Triefend nass stand ich da und schlotterte mit den Zähnen. Natürlich hatte ich kein Handtuch dabei. Ich versuchte,
meinen Mann anzurufen, doch er ging nicht an sein Handy. Und nun? Ich beugte mich unter den Händetrockner und ließ warmen Wind in mein Gesicht pusten. Nur langsam verschwand die Nässe von meiner Haut. Ich ahnte, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis jemand nach mir
sehen würde. Leider konnte ich den Trocknungsprozess nicht beschleunigen. Während der Händetrockner arbeitete, tupfte ich mich mit Papierhandtüchern ab.
Was machst du denn da, fragte meine Kollegin. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie herein gekommen war. Sofort kroch ich unter dem Händetrockner hervor. Das Brummen verstummte.
Na was soll ich schon machen, antwortete ich, irgendwie muß man ja die Zeit totschlagen, bis das Essen endlich da ist.
Der Abend wurde dann ganz nett, und meine Kollegin kam nicht noch einmal auf die seltsame Situation zurück, in der sie mich ertappt hatte.
In der Nacht führte ich ein ausführliches Gespräch mit meinem Mann.
Was soll ich nur tun, fragte ich. Wir saßen beim Schein der Nachttischlampe im Schlafzimmer. Mein Mann überlegte. Ich wußte, wie sehr er es haßte, nicht weiter zu wissen. Er wollte immer allen helfen und mir natürlich besonders.
Wenn wir, so sagte mein Mann nach einigem Überlegen, mal davon ausgehen, dass dieser Fisch ein Teil von dir ist.
Ich unterbrach ihn.
Der ist kein Teil von mir, sagte ich.
Pscht, sagte mein Mann, nun lass mich doch mal ausreden. Ich presste die Lippen aufeinander. Also, fing mein Mann nochmal an, wenn wir davon ausgehen, dass der Fisch einen Teil deiner Persönlichkeit repräsentiert, dann wäre es vielleicht klug, sich die Frage zu stellen, wie er sich besser integrieren lässt.
Ich verstehe kein Wort, sagte ich.
Mein Mann blieb geduldig. Das muss er schließlich können, bei seinem Beruf. Er ist Psychologe, habe ich das schon erwähnt?
Sagt dir der Ausdruck Krankheitsgewinn etwas, fragte er. Ich schüttelte den Kopf.
Doch, halt, sagte ich, Krankheitsgewinn beschreibt das, was ich davon habe, krank zu sein, aber ich bin ja gar nicht krank.
Aber du mußt schon zugeben, dass du heute sehr darunter gelitten hast, plötzlich ein Fisch zu sein, sagte mein Mann.
Stimmt, gab ich zu.
Na siehste, sagte mein Mann befriedigt, als ginge es ihm darum, recht zu haben und nicht darum, mir zu helfen.
Ich schlug die Hände vorm Gesicht zusammen.
Na komm, sagte mein Mann, vielleicht müssen wir auch einfach etwas tiefer in deiner Vergangenheit graben, so richtig analytisch, aber heute bin ich zu müde. Wir zogen uns aus und löschten das Licht.
Am nächsten Tag mußte ich natürlich ins Büro, aber abends setzte ich mich mit meinem Mann zusammen. Möglicherweise hatte er recht und die Lösung des Problems war tatsächlich in meiner Vergangenheit zu entdecken.
Ich möchte Sie nicht mit all den Details langweilen, die wir aufdeckten, all den Sachen, die mir nach und nach einfielen. Dass ich schon immer eher schüchtern gewesen war, dass mir manchmal die Worte fehlten, dass mein Lieblingskuscheltier eine Stoffkaulquappe gewesen war und dergleichen. Das brachte uns einer Lösung nur unwesentlich näher.
Sag mal, sagte ich mitten in unserer Sitzung, das Aquarium muß aber auch mal wieder gereinigt werden. Mein Mann warf einen Blick nach hinten, wo unser Aquarium stand.
Stimmt, sagte er, Schwiegermama soll sich ja wohl fühlen, auch wenn sie manchmal etwas nervt.
Rede nicht so über meine Mutter, warnte ich ihn, immerhin verdankst du ihr, dass es mich gibt und überhaupt, so schlimm ist sie gar nicht.
Wir schauten beide auf meine Mutter, die langsam ihre Bahnen schwamm, als könne sie kein Wässerchen trüben.